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  • Wolfgang Fobo

Wie man in China eine Ausschreibung gewinnt


Wir haben Oktober 2011, und im Gegensatz im Zeitraum 1996 – 2000, als meine Leber eine höhere Verantwortung wahrnehmen musste, sind heute die Methoden wesentlich verfeinert. Eine weitere Lehrstunde für einen jeden China-Verantwortlichen, beinahe vergnügungssteuerpflichtig.

Was gleich geblieben ist, ist, dass es Aktionen auf der Bühne und hinter der Bühne gibt. Ich beschreibe heute die Aktionen auf der Bühne, diejenigen dahinter will ich vorläufig im Dunkeln lassen, da wo sie auch hingehören.

In der Provinz Hunan werden in den nächsten beiden Jahren bis zu 30 Autobahnen fertiggestellt. Der Wert der benötigten Fugen incl. Installation wird von unserem Vertreter auf 75 Mio. € geschätzt, ein anderer Insider spricht von bis zu 120 Mio. €. Davon will unser Werk in China so um die 20% einfahren.

Der Platzhirsch in Hunan ist unser bisheriger Partner Hunan Meyer, welcher sehr viele Vorbereitungen getroffen hat, diese Beute einzufahren (und, wie ich mit der Zeit auch mitbekommen hatte, uns über den Tisch zu ziehen). Was Hunan Meyer vor hat (und das haben die verbliebenen „Partner“ in Shanxi und Shandong auch getan), ist, dass sie vordergründig damit werben, die D80 mit teurem importierten Original-Material von uns zu fertigen, in Wirklichkeit aber das billige China-Material einsetzen, und so den Profit auf ca. 40%-50% des Umsatzes erhöhen. Es geht also bei diesem Spiel aus Sicht von Hunan Meyer um bis zu 50 Mio. € Reingewinn – würden sie denn den gesamten Markt beherrschen. Dafür kann man mir schon einmal Sand in die Augen streuen (wollen). In meinem Fall sah der Sand so aus, dass Hunan Meyer mir im Juli bedeutet hatte, dass die Preise für die einfachen Produkte infolge lokalem Mitbewerb inzwischen so verfallen seien, dass sie unser Material leider nicht mehr importieren können, für die komplexeren Produkte würde das Budget aber noch reichen. Und sie haben auch ordentlich dieses Material bestellt. Und ich sollte mit dieser Bestellung sediert werden.

Bezeichnen wir obige Einführung einmal als „Vorspiel auf dem Theater“, kommt nun der erste Akt.

Der Bauherr, verwirrt, welche vordergründigen Regeln er festlegen soll, nach welchen ein Sieger ermittelt wird, bestimmt, dass der Sieger in einem Losverfahren ermittelt werden soll. Jeder, der meint, er könne Dehnfugen bauen, und zwar mit europäischem oder amerikanischen Material, darf daran teilnehmen. Und alle, welche meinen, Zugang zu importiertem Material zu haben, kaufen die Ausschreibungsunterlagen. In diesen Ausschreibungsunterlagen ist sogar festgelegt, welchen Preis der Bauherr für Material und Installation zahlt.

Insgesamt haben 18 Unternehmen die Unterlagen gekauft. Jetzt fängt die Arbeit an, sowohl vor als auch hinter der Bühne. Ich erfahre 2 Wochen vorher, dass am 10.Oktober alle Firmenchefs persönlich das Angebot abgeben müssen. Damit hatte ich eine Reise nach Changsha gewonnen, da musste ich hin, auf Teufel komm raus, Entschuldigungen werden nicht akzeptiert. Ich lasse unsere chinesischen Mitarbeiter die Arbeit machen und informiere mich kurz vorher zu den Verhaltensregeln.

Alle unsere „Pappenheimer“ nehmen an der Ausschreibung teil, alle ehemaligen und halbseidenen Joint Ventures, welche einmal unseren Markennamen im Firmenlogo trugen. Und noch die anderen Großkopfeten dazu, welche derzeit in China den Markt beherrschen. Hunan Meyer hat insgesamt 5 Unternehmen um einen Freundschaftsdienst gebeten, das heißt im Chinesischen „Peibiao“, und bedeutet ungefähr so viel, dass diese befreundeten Unternehmen an Hunan Meyer den Auftrag abtreten, sollten sie das große Los ziehen. Dafür bezahlt Hunan Meyer an die 5 Unternehmen eine Art „Service Fee“, inklusive der gesamten Aufwendungen für deren Angebote. Damit hat Hunan Meyer alle unsere ehemaligen „Kinder“ in einer Allianz gegen uns gestellt. Und wir sind in Feindesland. Unser lokaler Vertrieb hat es geschafft, 2 mir unbekannte Unternehmen zu einem „Peibiao“ zu bewegen.

Im Vorfeld zu dieser Ausschreibung hatte mich Hunan Meyer massiv bearbeitet, ich solle ihnen einen „Letter of Authorization“ schreiben, mit dem Inhalt, dass nur Hunan Meyer berechtigt sei, unser originales Material zu kaufen. Was ich indirekt ablehnte, bzw. ich verwies auf unser Werk in China, die Herrschaften sollten sich mit unserem Herrn General Manager einigen. Hunan Meyer fuhr denn auch in großer Delegation nach Nanjing, lockte und drohte, aber unser GM wollte ihnen einfach nicht geben, was sie wollten. Wenn ich über die Jahre eines gelernt habe, ist, dass ich mit meiner Machtbestellung gerne einmal für Gefälligkeiten „mißbraucht wurde“, weil ich als Ausländer eben die Konsequenzen nicht überblicke. Inzwischen ziehe ich mich da raus und lasse solche Spiele von unseren GM spielen (oder von unserem Vertreter in Peking, ein wahrer Virtuose seines Faches), und die können das allemal besser als ich (ich glaube manchmal, um Chinesen aufs Kreuz zu legen, muss man als Chinese geboren sein). Erwischt habe ich Hunan Meyer mit einem angeblich von mir unterschrieben Unterstützungsbrief, datierend vom 17.September 2010, gültig bis Ende 2013. Gute Arbeit, mit Photoshop. Worauf ich bei Angebotsabgabe ein weiteres Schreiben abgab, wer denn echt von uns unterstützt wurde und wer nicht.

Es sind also die Allianzen geschmiedet, und so kann im zweiten Akt die Ausschreibung eröffnet werden.

Kaum war ich abends zuvor in Changsha angekommen, klingelte mein Handy, und Hunan Meyer wollte mich mit Engelszungen überreden, mit ihnen abend zu essen. Ich wurde aber instruiert, niemanden kennen zu sollen, und ich redete mich raus. Dies ging so weit, dass ich am Tag der Entscheidung mein Handy ausmachte, um dem Sirenentönen zu entfliehen (was mir aber nur begrenzt gelang). Zu sechst schlugen wir dann eine Stunde vor Ablauf bei der Ausschreibungsbehörde auf, ich musste mich identifizieren, ein paar Unterschriften leisten, und das versiegelte Päckchen abgeben. Genauso wie alle 13 anderen Mitspieler, welche dieselbe Prozedur durchgingen. Da waren sie, die alten Kämpen, früher hatten wir miteinander gesoffen und auf Freundschaft gemacht, auch nicht geringe Materiallieferungsaufträge eingefahren, und jetzt musste ich so tun, als ob ich sie nicht kennen würde (aber alle machten mir Zeichen und feixten).

Im Ausschreibungssaal waren 2 Lostrommeln aufgebaut, ganz wie im Lotto. In der ersten Runde wurde jedem der 14 Teilnehmer eine Losnummer zugeordnet. Wir bekamen die Nummer 8, und das ist in China eine „Lucky Number“. Meine chinesische Handynummer endet z.B. mit 3 Achtern, das zeigt Status.

In der zweiten Losrunde werden die 14 Kugeln in die andere Lostrommel gegeben. Regel ist jetzt die, dass die ersten 3 Nummern, welche gezogen werden, in die engere Auswahl kommen. Die anderen 11 haben keine Chance mehr, wenn einer der ersten 3 das Rennen macht. Wir hatten wirklich Glück, die Nummer 8 war die zweite Kugel, welche fiel.

Vor uns, und die hatten zunächst einmal die höhere Priorität, waren die ehemaligen Shanxi Meyer, welche dem Vernehmen nach behauptet hatten, mit original amerikanischem Material zu arbeiten (alles Betrug, aber „this is China“).

Unser Vertrieb war sehr zufrieden, das sollte für uns reichen, meinte er.

Nach Ende der Veranstaltung wollte Hunan Meyer unbedingt mit mir reden, ich wollte aber nicht. So hielt sich deren Chef an unseren Vertrieb, und der sagte schließlich zu einer kurzen Besprechung zu. Mir war die gesamte Show recht unangenehm, ich spürte, wie wir in Feindesland agierten, ich war zudem noch vom Jetlag recht benommen und wollte nur meine Ruhe haben. Wie dem auch sei, in den dann folgenden 30 Minuten wurden wir einer Mischung aus Beschwörung und Drohung ausgesetzt, ihnen doch das Spiel nicht zu verderben. Unser Vertrieb hat sich glaube ich recht geschickt aus der Affäre gezogen. Ich schaute eh die gesamte Zeit recht gequält drein, was wohl recht überzeugend wirkte, denn ich wurde in Ruhe gelassen.

Mit Ende der Veranstaltung beginnt der dritte und entscheidende Akt, und das ist die Auswertung der Bewerbungsunterlagen der 3 siegreichen Teilnehmer. Dies geschieht hinter verschlossenen Türen, die Auswerter müssen ihr Handy abgeben und solange auswerten, bis weißer Rauch aufsteigt. Ich korrigiere, vorläufig weißer Rauch.

Wir hatten es irgendwie geschafft, die Nummer 1 herauszukegeln und wurden abends als vorläufiger Sieger bekanntgegeben.

Wenn der Sieger vorläufig feststeht, ist immer noch nicht alles gewonnen oder verloren, sondern jetzt geht der Beschuss los. Jetzt wird sich über die Ungerechtigkeit bei der Findung des Siegers beschwert. Wir hätten es nicht verdient, der Auftrag müsse in der Provinz bleiben, wir könnten es nicht, was auch immer. Es liegt nun am Bauherren, solchen Beschwerden stattzugeben oder abzulehnen. Wir hatten genau einen solchen Fall im Qingdao-Projekt, damals gingen wir voll aufs Ganze, wollten alles, bekamen alles, und unser lieber Mitbewerb hatte damals insgesamt 7 Beschwerdebriefe verfasst, immer zur nächst höheren Organisation, bis hin zur Zentralbehörde in Peking. Erst als diese letzte Beschwerde auch abgelehnt wurde, bekamen wir offiziell den Zuschlag.

Und hier beginnt die Kunst, hinter der Bühne. Der Sieger muss dem Sturm standhalten können. Das geht in der Regel nicht „einfach so“. Genaueres weiß ich nicht.

Und was ist drin für uns? So ca. 25 Mio. RMB für unser Werk in China, knapp 3 Mio. EUR. Wird eine schöne Materialbestellung.

Irgendwann gegen Jahresende darf ich noch einmal einfliegen. Dann geht es um doppelt so viel. Wieder Losverfahren. Und Hunan Meyer wird sich gewappnet haben, nach einem ersten Wunden lecken.

Bleibt noch eine Frage: was wäre eigentlich gewesen, wenn wir nicht unter die ersten 3 gekommen wären?

Antwort: dann hätten wir alle diese ersten 3 abschießen müssen. Und wir hätten, wenn ich unserem Vertrieb Glauben schenken darf, unsere Möglichkeiten gehabt. Denn auch darauf waren wir vorbereitet.


Verbündete braucht man im Leben. Vor allem in China.

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